Warum werden so viele Märchen über Lead Scoring verbreitet?

Ja, wir verkaufen Lead Scoring als einen wichtigen Teil unserer Leadgenerierungs Konzepte. Aber man kann es auch übertreiben. Ganz ehrlich: Gerade im B2B ist Lead Scoring zwar schön, aber nicht unbedingt zwingend notwendig für den nachhaltigen Vertriebserfolg. Und nicht jeder vorschriftsmäßig „gescorte“ Lead konvertiert dann auch brav zum Kunden, wenn er Whitepaper (5 Punkte) und Checkliste (10 Punkte) heruntergeladen hat und ein Webinar besucht hat (15 Punkte), um vielleicht anschließend noch ein eBook zu lesen (15 Punkte). Die Welt des B2B-Vertriebs ist nämlich doch noch ein wenig komplexer, als manches Scoring-Modell vermittelt.

Scoring ist immer dann sinnvoll, wenn die Datenmengen der Leads unübersichtlich werden. Gerade hier überzeugt ein einfaches und automatisches System, das im Hintergrund treu seine Arbeit verrichtet und immer dann einen Lead als vor- oder weiterqualifiziert auswirft, wenn ein bestimmter Score erreicht ist. Doch wer glaubt, auf diese Art und Weise quasi von selbst komplexe Technologie oder anspruchsvolle Dienstleistungen verkaufen zu können, der irrt. Und zwar gewaltig.

Ein Blick des Vertriebsinnendienstes mit Sachverstand auf das, was Grundlage von Scores ist, ist oftmals viel hilfreicher und effizienter als eine ausgeklügelte technische und letztlich mit ordentlichen Investitionen behaftete Komplett-Lösung. Der Vertriebler im B2B kann mit Blick auf das Unternehmen, die hinterlassenen Daten und die abgerufene Information schnell und aufgrund von Erfahrung entscheiden, was ein Scoring-Modell auch nicht besser könnte: Lohnt es, diesen Lead anzurufen? Wann könnte aus dem Lead ein Auftrag werden und in welcher Höhe? Letzteres aus der Auftragshistorie statistisch valide herauszuarbeiten und in einem Scoring-Modell zu hinterlegen ist äußerst aufwändig. Und ich behaupte: Bei einer Kunden(!)-Zahl kleiner 500 lohnt sich das keinesfalls.

Scoring kann diesen Blick aber auch dann nicht ersetzen. Letztlich ist es immer die persönliche Ansprache, der direkte Kontakt zum werdenden Kunden, der über Erfolg oder Misserfolg entscheidet.

Wann aber bringt Scoring bei der Leadgenerierung etwas?

Lead Scoring hilft großen Organisationen große Mengen an Leads zu qualifizieren und darauf aufbauend einen individuellen Lead Nurturing Prozess zu starten. Und jetzt wird es kompliziert: Nicht nur die Aktionen und Interaktionen auf der Website und über ALLE anderen Kanäle müssen in einem validen Scoring-Modell berücksichtigt werden. Auch die Buyer Persona und die Passgenauigkeit von Lead und definierter Buyer Persona müssen Eingang in das Scoring-Modell finden. So ist ein hoher Aktivitäten-Score eines nachrangigen Buying-Center-Mitglieds vielleicht sogar gleichzusetzen mit einem niedrigen Aktivitäten-Score eines Top-Entscheiders. Das entspräche dem klassischen Rollenmodell im Buying-Center: Der Mitarbeiter sucht und recherchiert, stellt Fakten zusammen und bereitet die Entscheidung vor. Und kurz vor der eigentlichen Entscheidung, schaut sich der Top-Entscheider auf der Website des künftigen Lieferanten um, schaut sich ein Video mit dem CEO an und liest sich eine Case Study zu einem vergleichbaren Fall durch. Der späte Einstieg in die Informationsbeschaffung und das vergleichsweise spärliche Nutzen von Informationen darf hier nicht zu einem niedrigen, sondern muss sogar zu einem überaus hohen Score führen.

Wer er schafft, diese Eventualitäten in seinem Scoring-Modell abzubilden (und das muss natürlich das Ziel sein!), für den macht Scoring in der Lead-Qualifizierung einen großen Sinn.

Ein Scoring-Modell muss sich ändern

Erfahrungen aus dem Vertrieb müssen regelmäßig Eingang finden in das Modell. Daher ist unsere Empfehlung auch die, nicht gleich mit dem Scoring-Modell zu starten und komplexe Nurturing-Prozesse auf diesem, am grünen Tisch geplanten Modell aufzubauen. Erst Content, dann Traffic, dann Leads – und dann beginnt irgendwann die Arbeit, diese Leads strategisch zu segmentieren, aus Erfahrungen echte Learnings abzuleiten und in die Buyer-Persona-Individualisierung von Prozessen zu starten. Leadgenerierung über Content Marketing ist ein langfristiges Projekt, das mit überbordender Strategiearbeit und zu geringen Fallzahlen für diese Strategieentwicklung nur mühsam ist. Auch wenn es nicht den Regeln entspricht: Erst Handeln, dann Denken – hier hilft der induktive Ansatz.