Über die Zukunft des Kundenservice

Thought Leader sind Meinungsführer, die nicht nur innovative Produkte zu bieten haben, sondern sich auch in der Öffentlichkeit als Experten positionieren. Also starteten wir einen Versuch: Wir suchten uns exemplarisch eine Branche und identifizierten deren Thought Leader. Und wir ließen diese Thought Leader über die Zukunft sprechen. Am Ende hielten wir ein Magazin in den Händen. 32 Seiten, auf denen die Experten der Contact-Center-Branche erklären, wie Ihre Vision für den Kundenservice aussieht.

Beinahe unscheinbar sitzt der neue Star der Digital-Branche in einem Café in der Nürnberger Innenstadt und denkt über die Zukunft Deutschlands nach. Doch was Aya Jaff bei dieser gedanklichen Zeitreise sieht, stimmt sie alles andere als glücklich.

Routiniert handelt sie die Themen ab, über die sich alle jungen Unternehmensgründer regelmäßig echauffieren. Die digitalen Investments? Viel zu gering. Unternehmen, die Home-Office anbieten? Viel zu wenige. Und überhaupt diese deutsche Mentalität, die fehlende Fantasie, die Angst vor Veränderung. Doch als Jaff gefragt wird, ob sie sich denn vorstellen könne, im Kundenservice hauptsächlich mit Bots zu sprechen, sagt sie einen Satz, der bleiben wird: „Bei den großen Entscheidungen meines Lebens will ich nicht mit einem Roboter reden.“

Aya Jaff hat einen Aufstieg hinter sich, der kein Ende zu finden scheint. Waren es einst noch hippe Gründer-Blogs, die über die 23-jährige Studentin und ihre Unternehmensberatung „CoDesignFactory“ berichteten, sind inzwischen längst die großen, überregionalen Medien auf sie aufmerksam geworden. Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Zeit. Visionärin, Vordenkerin, Digital-Revolutionärin. Die Bezeichnungen überschlagen sich. Als eine der wenigen Programmiererinnen des Landes hat sich Aya Jaff ihre Nische gesucht. Und die Medien haben sie gefunden.

Die Gedanken, die sich die Studentin in Nürnberg zur Zukunft Deutschlands macht, haben Gewicht. Wer also mehr darüber erfahren will, wie sich die Generation der Digital Natives den Kundenservice der Zukunft vorstellt, kommt an Aya Jaff nicht vorbei. Wie tickt die Generation, die bei Problemen zunächst zum Smartphone greift und lieber chattet als telefoniert? Und was bedeutet das für eine Branche, in der Erwartung und Realität noch auseinanderklaffen, in der die Künstliche Intelligenz noch eine Projektionsfläche ist, in die Contact Center all ihre Wünsche und Hoffnungen hineinspiegeln?

Dass die Digitalisierung die Contact-Center-Branche massiv verändern wird, weiß auch Aya Jaff. Sie macht keinen Hehl daraus, dass Fortschritte bei der Künstlichen Intelligenz mit einem Wegfall an Arbeit einhergehen. Bis zu 50 Prozent weniger Jobs in Contact Centern, das sei durchaus möglich. „Auch weil wir immer besser darin werden, den Service zu erklären“, sagt Jaff. „Die Unternehmen lernen, wie man etwas beschreiben muss, damit so wenige Fragen wie möglich auftauchen.“

Und dennoch: Da gibt es diese Situationen, in denen selbst Digital Natives ihre Anliegen nicht mit einem Bot teilen wollen. Die großen Entscheidungen des Lebens, wie Aya Jaff sie nennt. Etwa beim Kauf einer Immobilie. „Da erwarte ich eine menschliche Connection, um zu wissen: Ist das ein gutes Investment, das ich gerade mache?“, erklärt sie. „Dieses Gefühl von Sicherheit, dieses Eingehen auf meine Gefühlswelt, das sollte nicht von einem Roboter übernommen werden, auch wenn er es übernehmen könnte.“

Das sind die beiden Leitfragen, um die sich die Branche derzeit formiert: Kann Künstliche Intelligenz irgendwann den Menschen im Kundenservice ersetzen? Und falls ja: Wollen die Kunden das überhaupt? Wer darauf Antworten sucht, muss dorthin gehen, wo sich der Kern der Contact-Center-Branche versammelt.

Das Berliner Estrel-Hotel. Am Eingang drängen sich unzählige Menschen in die Halle, die Stände sind bereits aufgebaut, überall ist Gemurmel zu hören. Wie jedes Jahr findet hier die CCW-Messe statt. Headsets, Software-Lösungen, Sprachaufzeichnungen – überall kleine Puzzleteile, aus denen sich das Contact Center der Zukunft zusammensetzen könnte. Damit ein Unternehmen aber nicht die falschen Teile aneinanderreiht, gibt es Menschen wie Attikus A. Schacht.

Der Kundenservice, da ist sich der Unternehmensberater sicher, wird in Zukunft nochmal an Bedeutung hinzugewinnen. „Service-Center sind die Schnittstellen zum Kunden“, erklärt Schacht, als er vor seinem Messe-Stand auf der CCW steht. „Wenn es Unternehmen gelingt sich über den Service zu differenzieren, werden auch ihre Produkte gekauft.“

Doch die Bedingungen, unter denen Contact Center arbeiten, werden zunehmend komplexer. Neue Kommunikationskanäle sind entstanden, Alte sind geblieben. Das Kundenverhalten hat sich gewandelt. „Kunden lassen sich heutzutage immer schwieriger binden“, sagt Schacht. Kurz gesagt: Die Bedeutung des Kundenservices steigt, seine Erfolgsaussichten sinken.  Wie lässt sich dieser Gegensatz auflösen?

Attikus A. Schacht plädiert für einen neuen, einen differenzierteren Weg: „Der Kunde muss in die Prozesse des Unternehmens involviert werden.“ Die Frage, ob ein Mensch oder ein Roboter den Service übernimmt, soll sich verschieben – vom Unternehmen hin zum Kunden. Alles kann, nichts muss.

„Warum geben wir dem Kunden nicht einfach die Wahl, ob er mit einer Maschine verbunden werden möchte?“, schreibt Schacht in seinem Fachbeitrag „Contact Center of the Future“ im Thought-Leader-Magazin. „Die Vorteile der Schnelligkeit und Erreichbarkeit kann man ihm vermitteln: Jetzt sofort und rund um die Uhr, dafür ein Algorithmus. Der persönliche Service von einem Mitarbeiter kann ein deutlich breiteres Spektrum an Fragensets beantworten, empathischer auf den Menschen eingehen, komplexere Prozessabläufe vermitteln und gleichzeitig selbstständig Entscheidungen treffen und anstoßen.“

Der Kunde selbst entscheidet also über das Wie – eine elegante Lösung. Es ist ein Weg, mit dem sich sicherlich auch die Generation der Digital Natives problemlos anfreunden könnte. „Man muss die Menschen mitnehmen“, sagt auch Aya Jaff, als sie in dem Nürnberger Café sitzt. „Je früher man damit beginnt desto mehr Vertrauen haben die Menschen in die Zukunft“.